Hybridisierung als Evolutionsmotor

Forschungsbericht (importiert) 2013 - Max Planck Institut für Evolutionsbiologie

Autoren
Nolte, Arne W.
Abteilungen
Forschungsgruppe Evolutionsgenetik von Fischen
Zusammenfassung
Hybride faszinieren Biologen schon lange Zeit. Die mögliche Rolle, die solche Mischlinge für evolutionäre Prozesse spielen, wird zunehmend als wichtig eingeschätzt. So wie Kreuzungen in der Tier- und Pflanzenzüchtung zur Zucht neuer Varianten dienen, können natürliche Hybride Neuheiten besitzen, die ihnen entscheidende Vorteile in evolutionären Prozessen geben. Durch die Kombination von Kreuzungsexperimenten und der Suche von neuen Merkmalen erforschen Wissenschaftler/innen am Institut, ob neue Merkmale in Hybriden eine Rolle für die Anpassung an neue Lebensräume spielen.

Nachwuchs aus gemischten Paarungen

Wenn unterscheidbare Linien Nachwuchs hervorbringen, dann spricht man von Hybriden. Ein klassisches Beispiel ist das Maultier, eine Kreuzung aus Pferd und Esel. Neben solchen meist unfruchtbaren Hybriden gibt es andere, die durchaus fortpflanzungsfähig sind. Der Begriff Hybrid schließt nämlich Mischlinge aus unterscheidbaren Populationen derselben Art ein. Während Hybride aus nahe verwandten Eltern auf den ersten Blick vielleicht weniger spektakulär sind und in der Natur oft unbemerkt bleiben, spielen sie für den Menschen eine sehr große Rolle. Züchter erzeugen regelmäßig neue, verbesserte Nutztierrassen durch Kreuzung verschiedener Rassen und in der Pflanzenzüchtung spielen Hybride eine überragende Rolle, wie beispielsweise beim Mais. Gründe dafür sind, dass Hybride interessante Merkmale der Eltern vereinen und dass sie eine besondere Vitalität haben.

Es wurde geschätzt, dass etwa ein Viertel aller Pflanzen und vielleicht jede zehnte aller Tierarten in der Natur hybridisieren [1]. Von vielen Organismengruppen sind Hybride bekannt, doch fehlen meist genaue Vorstellungen darüber, wie oft Hybridisierung wirklich vorkommt. Dass Hybride auftreten, ist verwunderlich, sind doch sortenreine Paarungen ein wichtiger Garant für die Wahl eines optimalen Fortpflanzungspartners. Darüber hinaus führt ein zu hohes Maß an Hybridisierung dazu, dass zuvor getrennte Populationen zu einem Genpool verschmelzen. Es gibt also gute Gründe anzunehmen, dass Arten, die wir heute unterscheiden, wirksame Mechanismen entwickelt haben, Hybridisierung zu verhindern.

Trotzdem kommt es in der Natur immer wieder zur Bildung von Hybriden. Besonders häufig treten sie da auf, wo Arten aufeinander treffen, die zuvor isoliert waren und zwischen denen keine wirksamen Fortpflanzungsbarrieren entstanden sind. Dies kann passieren, wenn sich Verbreitungsgebiete vergrößern oder verlagern oder wenn durch den Einfluss des Menschen Arten verfrachtet werden. Unbeabsichtigt passiert dies millionenfach als Folge des globalen Gütertransportes. Dazu kommen Fälle, in denen absichtlich Tiere und Pflanzen für die Nutzung durch den Menschen in die Natur ausgebracht werden.

Genetische Last oder Entfesselung? 

Aus evolutionsbiologischer Sicht stellt sich die Frage, ob in Hybriden ein besonderes Potenzial schlummert [1, 2, 3]. Auf der einen Seite gibt es eine Reihe von genetischen Effekten, die die Lebensfähigkeit von Hybriden herabsetzen. Wenn genetische Merkmale zuvor getrennter Elternarten in Hybriden vereint werden, können Unverträglichkeiten auftreten, weil sie in Kombination nicht optimal funktionieren. Solche sogenannten Dobzhansky–Müller Unverträglichkeiten spielen eine wichtige Rolle als Fortpflanzungsbarrieren zwischen Arten. Es gibt aber auch genetische Effekte, die positive Konsequenzen haben können. Wenn Erbgut aus verschiedenen Elternlinien neu kombiniert wird, kann es zu Merkmalsausprägungen kommen, die die elterlichen Eigenschaften weit übertreffen. Diese Merkmale werden als transgressiv bezeichnet und treten sowohl in Pflanzen- als auch in Tierhybriden häufig auf. Ein längerfristiger Effekt hängt mit Segment-Mutationen zusammen, die in Nachkommen der Hybride gehäuft auftreten. So werden mobile genetische Elemente aktiviert, die sich kopieren und im gesamten Genom inserieren, oder die Kopienzahl von Genen kann sich verändern [4, 5]. Es ist wahrscheinlich, dass diese Mutationen genetische Strukturen im Genom untauglich machen und damit schädlich sind. In seltenen Fällen können aber Funktionen, die die Fitness positiv beeinflussen, entstehen.

Für Fische ist geschätzt worden, dass es etwa 6 Millionen Jahre der Trennung zwischen Arten bedarf, bis deren Hybride nicht mehr lebensfähig sind. Die wichtige Schlussfolgerung ist hier, dass die Entstehung lebensfähiger Kreuzungen zwischen neu entstandenen Arten über Millionen von Jahren hinweg möglich ist und dass Hybridisierung neue genetische Varianten entstehen lässt.

Artbildung aus Hybriden

Wenn Hybride entstehen, haben sie in der Natur zwei fundamentale Probleme. Zuerst sind sie ihren Elternarten im direkten Konkurrenzkampf unterlegen, weil sie als weniger optimal angepasst gelten müssen. Sollten sie tatsächlich eine besonders vorteilhafte Kombination von Allelen beider Eltern geerbt haben, so werden diese Genotypen unweigerlich durch Rückkreuzung mit den in der Natur viel häufigeren Elternarten verwässert. Es ist also schwer erklärbar, dass in der Gegenwart der Elternarten eine neue Art durch Hybridisierung entsteht. Wenn aber Hybride einen Lebensraum annehmen, in dem sie Konkurrenz und Kontakt mit den Eltern vermeiden können, dann wäre es denkbar, dass sich eine neue Art aus ihnen bildet [1, 2, 3]. Die Faszination der Idee einer Hybridspeziation geht davon aus, dass die ökologische Abtrennung von ihren Eltern durch neue Merkmale aus hybriden Genotypen ermöglicht wird.

Während der Prozess der Hybridisierung in der Genetik und der Züchtung gut untersucht ist, müssen die evolutionären Konsequenzen in natürlichen Systemen als noch unzureichend erforscht gelten. Dies liegt darin begründet, dass die Analyse natürlicher Hybridisierung aufwendig ist, denn es gilt zu demonstrieren, dass eine neue Art durch Hybridisierung entstanden ist. Dafür ist es notwendig, mögliche Elternarten über ihr gesamtes Verbreitungsgebiet hinweg zu charakterisieren und dann gemischte Merkmalszustände in den Hybriden zu belegen. Neben der Analyse der Abstammung müssen alle Arten in ihren äußerlichen und ökologischen Merkmalen verglichen werden, ansonsten fehlen Daten, um zu entscheiden, ob mit der Hybridisierung überhaupt evolutionäre Veränderungen einhergehen.

Hybridgroppen besiedeln neue Lebensräume

In der Forschungsgruppe Evolutionäre Genetik von Fischen wird an invasiven Groppen geforscht, um evolutionäre Konsequenzen von Hybridisierung zu belegen (Abb. 1). Seit den 1990er-Jahren wurde zunehmend die Ausbreitung dieser Fische im Hauptstrom des Niederrheins dokumentiert, ein Befund, der Fischkundler erstaunte, galten doch Groppen als Charakterart der kühlen Oberläufe. Es konnte gezeigt werden, dass es sich bei den invasiven Groppen um eine eigenständige Population handelt, die aus Hybriden zwischen den Arten Cottus rhenanus aus dem Rhein und Cottus perifretum aus der Schelde hervor gegangen ist [5]. Eine Vermischung wurde erst durch die künstliche Vernetzung dieser Gewässersysteme in den letzten 200 Jahren möglich. Dabei haben Kanalbau und die Anlage von Deichen den Einfluss der Nordsee reduziert und den Wasserstand reguliert. Das gesamte Niederrheingebiet stellt heute einen stark vom Menschen überformten Lebensraum dar, der von den Elternarten nicht besiedelt wurde. Den invasiven Groppen dagegen war dies möglich und es liegt nahe, dass Hybridisierung einen Beitrag zu diesem ökologischen Erfolg geleistet hat.

Um dies zu testen, wurden Kreuzungsexperimente im Labor mit Genexpressionsanalysen kombiniert. Es zeigte sich, dass Kreuzungen zwischen den Elternarten fast uneingeschränkt möglich sind [6]. Dies war insofern zu erwarten, als dass die Elternarten maximal 2 Millionen Jahre getrennt sind. Auf der anderen Seite belegt dieses Ergebnis aber, dass Hybridisierung von Groppen im Rheingebiet durch ökologische Faktoren bestimmt wird. Ansonsten würden invasive Groppen in den durchgängigen Flusssystemen mit ihren Elternarten verschmelzen.

Die Kreuzungen konnten auch genutzt werden, um evolutionäre Veränderung zu untersuchen. Um möglichst viele Merkmale auf neue Zustände zu testen, wurde die Expression Tausender Gene mittels der µ-array Technologie gemessen. Tatsächlich wurden in den Laborkreuzungen mehrere hundert Gene gefunden, in denen die Expression in beiden Elternarten entweder höher oder niedriger war als in den Hybriden [7]. Einige dieser neuen Expressionsmuster wurden auch in invasiven Groppen aus der Natur gefunden. Es liegt damit nahe, dass Hybridisierung zu neuen Phänotypen geführt hat, die sich in einem natürlichen Evolutionsprozess durchsetzen konnten.

Hybridisierung und globaler ökologischer Wandel

Hybride werden oft als Ausnahmen der Natur verstanden, die bestenfalls keinerlei Bedeutung haben. Für den Erhalt lokaler Varianten von Tier und Pflanzenarten gelten Hybride wiederum als ernstzunehmende Bedrohung. Theoretisch können sie Unterschiede zwischen Populationen erodieren und dazu beitragen, dass Arten in ihrer ursprünglichen Form verloren gehen. Die Rolle von Hybriden in der Natur muss aber nicht zwangsläufig negativ sein, so zum Beispiel wenn sie als erfolgreiche Besiedler anthropogen überformter Landschaften auftreten. Ein weiteres Beispiel ist die Wespenspinne Argiope bruennichi, die sich im letzten Jahrhundert aus dem Mittelmeerraum in nördliche, zuvor nicht besiedelte Gebiete ausgebreitet hat - ein häufiges Muster, das oft durch Klimaveränderung erklärt wird. Kürzlich konnten Evolutionsbiologen des Instituts zeigen, dass auch die sich ausbreitenden Wespenspinnen durch Hybridisierung hervorgegangen sind [8].

Noch mehr Beispiele für Hybride, die sich an verändernde Lebensräume anpassen, gibt es auch bei anderen Fischen. So wurde für Renken (Coregonus) gezeigt, dass sich zuvor getrennte Arten vermischen, nachdem sich die Ökologie von Seen geändert hatte [9]. Während dies einerseits den Verlust einzigartiger Fischarten darstellt, konnten die neu entstandenen Hybride das in ihnen schlummernde Potenzial für Anpassung an neue Lebensräume nutzen. Dabei ist nicht davon auszugehen, dass die Hybride ihre Elternarten verdrängt haben, sondern dass der Erfolg der Hybride in demselben Maße stieg, wie die Elternarten verschwanden. Wenn es also ein Schutzziel ist, Arten zu erhalten, dann gilt es, Ökosysteme zu schützen. Es ginge an den eigentlichen Ursachen vorbei, Hybride als Kern der Bedrohung für die Artenvielfalt zu betrachten.

Literaturhinweise

1.
Mallet, J.
Hybrid speciation
Nature 446, 279-283 (2007)
2.
Nolte, A. W.; Tautz D.
Understanding the onset of hybrid speciation
Trends in Genetics 26, 54-58 (2010)
3.
Abbott, R.; Albach, D.; Ansell, S.; Arntzen, J. W.; Baird, S. J. E.; Bierne, N.
Hybridization and speciation
Journal of Evolutionary Biology 26, 229-246 (2013)
4.
Scavetta, R. J.; Tautz, D.
Copy number changes of CNV regions in intersubspecific crosses of the house mouse
Molecular Biology and Evolution 27, 1845-1856 (2010)
5.
Nolte, A. W.; Freyhof, J.; Stemshorn, K. C.; Tautz, D.
An invasive lineage of sculpins, Cottus sp. (Pisces, Teleostei) in the Rhine with new habitat adaptations has originated form hybridization between old phylogeographic groups
Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 272, 2379-2387 (2005)
6.
Cheng, J.; Czypionka, T.; Nolte, A. W.
The genomics of incompatibility factors and sex determination in hybridizing species of Cottus (Pisces)
Heredity 111, 520-529 (2013)
7.
Czypionka, T.; Cheng, J.; Pozhitkov, A.; Nolte, A. W.
Transcriptome changes after genome wide admixture in invasive sculpins (Cottus)
Molecular Ecology 21, 4797-4810 (2012)
8.
Krehenwinkel, H.; Tautz, D.
Northern range expansion of European populations of the wasp spider Argiope bruennichi is associated with global warming-correlated genetic admixture and population-specific temperature adaptations
Molecular Ecology 22, 2232-2248 (2013)
9.
Vonlanthen, P.; Bittner, D.; Hudson, A. G.; Young, K. A.; Müller, R.; Lundsgaard-Hansen, B.; Roy, D.; Di Piazza, S.; Largiader, C. R.; Seehausen, O.
Eutrophication causes speciation reversal in whitefish adaptive radiations
Nature 482, 357–362 (2012)
Zur Redakteursansicht