Reputation zahlt sich aus und löst Kooperationsprobleme

Forschungsbericht (importiert) 2003 - Max Planck Institut für Evolutionsbiologie

Autoren
Milinski, Manfred
Abteilungen
Evolutionsökologie (M. Milinski) (Prof. Dr. Manfred Milinski)
MPI für Evolutionsbiologie, Plön
Zusammenfassung
Viele Probleme der menschlichen Gesellschaft, wie beispielsweise die Überfischung der Meere oder das globale Klimadilemma, sind Kooperationsprobleme. Wenn Personen, Gruppen oder Staaten frei sind, gemeinschaftlich genutzte Ressourcen im Übermaß zu nutzen, dann tun sie das in der Regel auch. So sind Gemeinschaftsgüter in Gefahr zusammenzubrechen; dies betrifft Krankenversicherungssysteme ebenso wie Fischpopulationen oder möglicherweise unser Klima. Dieses als "Tragedy of the Commons" [1] bekannte Problem wird von Sozial-, Politik- und Wirtschaftswissenschaftlern seit Jahrzehnten und von Evolutionsbiologen neuerdings intensiv untersucht. Doch außer der Möglichkeit, Nicht-Kooperationsbereite direkt zu bestrafen [2], hat man bisher noch keine kooperative Lösung der "Tragedy of the Commons" gefunden. Wissenschaftler der Abteilung "Evolutionsökologie" im Max-Planck-Institut in Plön zeigten nun, dass eine unerwartet effiziente Lösung des Problems erreicht werden kann, wenn die für andere soziale Situationen wichtige persönliche Reputation, der gute Ruf, auf dem Spiel steht: Gelingt diese Verknüpfung, bleibt die Gemeinschaftsressource nicht nur erhalten, sondern wirft sogar für alle Nutzer hohen Gewinn ab [3].

Die übliche Methode, die "Tragedy of the Commons" experimentell zu untersuchen, ist das "Public-Goods-Spiel": Dabei erhalten zum Beispiel vier Studenten jeweils ein Startkapital. Sie können in jeder Runde entscheiden, ob sie davon 1 € in einen Gemeinschaftstopf investieren wollen (Abb. 1).

Der Gesamtbetrag der Einzahlungen wird vom Spielleiter in jeder Runde verdoppelt und gleichmäßig an alle vier Spieler ausgezahlt, unabhängig davon, ob sie eingezahlt haben. Die vier Studenten würden zusammen den höchsten Ertrag, nämlich 8 € erwirtschaften, wenn jeder einzahlt. Doch die rationale Strategie ist, nichts einzuzahlen und darauf zu bauen, dass die anderen Mitspieler einzahlen: Von jedem Euro, den man selbst einzahlt, bekommt man - verdoppelt, dann auf vier aufgeteilt - nur einen halben Euro zurück und, was man von den anderen bekommt, ist unabhängig vom eigenen Einsatz. Erstaunlicher-und irrationalerweise beginnen solche Experimente immer sehr kooperativ. Doch innerhalb weniger Runden bricht die Kooperationsbereitschaft zusammen und niemand investiert mehr in das Gemeinschaftsgut. Abbildung 2 zeigt, dass das Kooperationsniveau abfällt, wenn Gruppen zu je sechs Studenten acht Runden des Public-Goods-Spiels hintereinander spielen. Hätten alle Spieler alle acht Runden eingezahlt, hätte jeder 8 € netto verdient; aber in der Regel verdienen sie so gut wie nichts.

Indirekte Reziprozität: Wer gibt, dem wird gegeben

So steht es in der Bibel, aber diese sagt nicht, ob der Gebende schon zu Lebzeiten profitiert. "Tue Gutes und rede darüber" oder "tue es nur dann, wenn es andere mitbekommen" - Die Idee, dass selbstlose Hilfe den "Status" einer Person aufwertet und dass ein höherer Status Vertrauen und Vorteile in vielen sozialen Situationen nach sich ziehen kann, wird in der Evolutionsbiologie seit langer Zeit diskutiert [siehe dazu 4]. Man glaubte aber nicht, dass die Strategie "gebe denjenigen, die anderen gegeben haben" sich auszahlen kann. Erst ein mathematisches Evolutionsmodell zeigte, dass sich eine solche Strategie, die zu "indirekter Reziprozität" (indirekter Gegenseitigkeit) führt, unter realistischen Bedingungen entwickeln kann [5]. Die Voraussagen dieses Modells wurden inzwischen experimentell mit Schweizer Studenten getestet [6]: In jeder Runde wurde jeder Student gefragt, ob er einem anderen Studenten, zufällig ausgelost, 2 Sfr geben wollte, die dann vom Spielleiter verdoppelt wurden. Die Studenten wussten, dass sie nie mit vertauschten Rollen auf dieselbe Person treffen würden - direkte Reziprozität, also der gegenseitige Ausgleich, war ausgeschlossen. Die Studenten spielten unter Pseudonymen und entschieden über verdeckte Schalter. Der Geberstatus jedes Mitspielers wurde für alle sichtbar unter seinem Pseudonamen aufgelistet und laufend aktualisiert. Die Studenten erhielten ihren Kontostand, wie bei solchen Experimenten üblich, tatsächlich bar ausgezahlt. Ergebnis: Die Mitspieler gaben tatsächlich anderen Studenten und taten dies umso eher, je höher der Geberstatus des potenziellen Empfängers war. So hatten Spieler mit hoher Geber-Reputation am Ende des Spiels einen hohen Nettogewinn. Wer gibt, dem wird tatsächlich gegeben. Menschen kooperieren über indirekte Reziprozität.

Reputation erhält die Gemeinschaftsressource

Es ist wichtig, eine hohe Geber-Reputation aufzubauen und nicht zu verlieren, um Gewinne durch indirekte Reziprozität zu erhalten. Wenn die indirekte Reziprozitäts- mit der Public-Goods-Situation verknüpft ist, sollte man seinen Ruf nicht in der Public-Goods-Situation aufs Spiel setzen. Denn man weiß, dass man in beiden Situationen immer wieder mit denselben Sozialpartnern zusammentrifft. Kooperiert man im Public-Goods-Spiel nicht, würde man folglich die Reputation, die man mühsam im "Indirekten-Reziprozitäts-Spiel" aufgebaut hat, möglicherweise wieder verlieren. Um den Effekt der Verknüpfung der beiden Situationen "Public-Goods" und "Indirekte Reziprozität" zu testen, wurde ein Experiment mit Gruppen von je sechs Studenten der Universität Hamburg durchgeführt: Zehn Gruppen spielten 16 Runden lang abwechselnd je eine Runde "Indirekte Reziprozität" und eine Runde "Public-Goods" [3]. In jeder Runde "Indirekte Reziprozität" war jeder Spieler einmal potenzieller Geber (-1.25 €) und einmal potenzieller Empfänger (+2 €), aber nie mit derselben Person wechselseitig. In jeder Runde "Public-Goods" wurden die sechs Spieler gleichzeitig gefragt, ob sie in den Gemeinschaftstopf einzahlen wollten. Neun andere Gruppen spielten hintereinander erst acht Runden "Public-Goods" und dann acht Runden "Indirekte Reziprozität". Die Studenten spielten jeweils mit demselben Pseudonamen in beiden Situationen.

Das Ergebnis war deutlich [3]: Die Gruppen, die zuerst acht Runden "Public-Goods" nacheinander spielten, begannen wie üblich mit Kooperation, die jedoch schnell zusammenbrach (Abb. 2). In den folgenden acht Runden "Indirekte Reziprozität" baute sich die Kooperation wieder auf. Hingegen hielten jene Gruppen, die die beiden Spiele abwechselnd spielten, bis zur 16. Runde das hohe Anfangsniveau ihrer Kooperation aufrecht (Abb. 3). Wer im Public-Goods-Spiel nicht in die Gemeinschaftskasse einzahlte, erhielt signifikant seltener Unterstützung in der anschließenden Runde des Indirekte-Reziprozitäts-Spiels und kooperierte deshalb im nächsten Public-Goods-Spiel wieder. Auf diese Weise erhielten diese Studenten am Ende des Spiels hohe Auszahlungen. Allein dadurch, dass man sich "gezwungen fühlt", seine gute Reputation aufrechtzuerhalten, wird nicht nur die Gemeinschaftsressource erhalten, sondern alle so gezwungenen Spieler profitieren durch hohe Gewinne aus dieser Gemeinschaftsressource.

Umsetzbar wären diese Erkenntnisse schon dadurch, dass man Anonymität bei der Nutzung von Gemeinschaftsgütern durch Öffentlichkeit ersetzt. Allein das Gefühl, dass andere zusehen könnten, würde wahrscheinlich die Bereitschaft zur Kooperation erhöhen. Eine weitere Möglichkeit, Gemeinschaftsressourcen zu erhalten, allerdings auf einem niedrigeren Niveau als durch Verknüpfung mit "dem guten Ruf", wurde kürzlich theoretisch [7] und experimentell [8]gezeigt: Wenn Studenten zwischen dem riskanten Public-Goods-Spiel und einem kleinen, aber sicheren Einkommen als "Aussteiger" wählen konnten, gab es einen periodischen Wechsel der Mehrheitsstrategie nach dem "Papier, Schere, Stein-Prinzip". Wenn die Gruppe vornehmlich aus "Kooperatoren" bestand, lohnte es sich, in der Gruppe nicht zu geben. Sobald die Nicht-Geber sehr häufig waren, lohnte es sich, "auszusteigen". Danach begannen sich wieder kleine Gruppen mit Kooperatoren zu bilden und so weiter. Auf diese Weise wird Kooperation immer wieder die Mehrheitstrategie in der "Tragedy of the Commons" und könnte dann durch andere Kräfte - wie die Notwendigkeit, den guten Ruf zu bewahren -stabilisiert werden.

In Zusammenarbeit mit dem MPI für Meteorologie untersuchen die Wissenschaftler um Manfred Milinski gerade, ob man mit diesen Mechanismen Menschen dazu bringen kann, in den Erhalt des globalen Klimas zu investieren.

Literatur

[1] Hardin, G.: The tragedy of the commons. Science 162, 1243-1248 (1968).

[2] Fehr, E. and S. Gächter: Altruistic punishment in humans. Nature 415, 137-140 (2002).

[3] Milinski, M., D. Semmann and H.-J. Krambeck: Reputation helps solve the "tragedy of the commons". Nature 415, 424-426 (2002).

[4] Alexander, R. D.: The Biology of Moral Systems. De Gruyter, New York (1987).

[5] Nowak, M. A. and K. Sigmund: Evolution of indirect reciprocity by image scoring. Nature 393, 573-577 (1998).

[6] Wedekind, C. and M. Milinski: Cooperation through image scoring in humans. Science 288, 850-852 (2000).

[7] Hauert, C., J. De Monte, J. Hofbauer and K. Sigmund: Volunteering as red queen mechanism for cooperation in public goods games. Science 296, 1129-1132 (2002).

[8] Semmann, D., H.-J. Krambeck and M. Milinski: Volunteering leads to rock-paper-scissors dynamics in a public goods game. Nature 425, 390-393 (2003).

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