Lise-Meitner-Gruppe
Evolutionäre Diversifizierung und Innovation
Das Leben auf der Erde zeigt eine beeindruckende Vielfalt. Bei näherem Hinsehen fällt jedoch auf, dass bestimmte Merkmale immer wieder auftreten, während andere kaum oder gar nicht entstehen. Unser Forschungsteam möchte verstehen, welche Faktoren biologische Systeme evolvierbar machen. Mithilfe eines integrativen Ansatzes untersuchen wir Eidechsen, um die Entwicklungsmechanismen zu entschlüsseln, die der evolutionären Vielfalt sowie der Entstehung neuer Farben, Muster und Formen zugrunde liegen.
Viele unserer Projekte konzentrieren sich auf Mauereidechsen aus dem Mittelmeerraum. Ihre erstaunliche Vielfalt an Farbmustern und ihre Fähigkeit, auf winzigen Inseln zu überleben, faszinieren Naturforscher bereits seit dem 19. Jahrhundert. Dank aktueller Theorien und modernen Methoden können wir nun genauer erforschen, warum Mauereidechsen so erfolgreich sind und die Mechanismen hinter Innovationen, konvergenten Entwicklungen und der Existenz hypervariabler Linien besser verstehen.
Wir sind überzeugt, dass die Vielfalt evolutionärer Fragestellungen ebenso vielfältige Perspektiven und Herangehensweisen erfordert. Deshalb kombinieren wir Erkenntnisse aus der Evo-Devo-Forschung (evolutionäre Entwicklungsbiologie) mit Ansätzen aus der Evolutionsgenomik, experimenteller Entwicklungsbiologie und Feldstudien im Mittelmeerraum. So untersuchen wir, wie Organismen funktionieren und ihre eigene Evolution beeinflussen. Einige unserer aktuellen Projekte werden im Folgenden vorgestellt.
Evo-Devo der Farben
Eidechsen beeindrucken durch eine enorme Vielfalt an Farbmusterungen. Während sich manche Muster häufig und unabhängig voneinander entwickeln, treten andere nur selten oder gar nicht auf. Diese Muster der Evolution lassen sich nur dann erklären, wenn auch die Entstehung der Eidechsenfärbung während der Embryonalentwicklung mit in Betracht gezogen wird.
Der Schwerpunkt unserer aktuellen Projekte liegt auf der wiederholten Evolution von Farbmusterungen bei Mauereidechsen sowie einem besonderen Diamant-Zickzack-Polymorphismus beim Bahamaanolis Anolis sagrei. Diese Systeme bieten einzigartige Gelegenheiten, zu erforschen, wie genetische Variationen und zelluläre Prozesse Farbmuster erzeugen. Dadurch gewinnen wir wertvolle Einsichten in die Verbindung zwischen Embryonalentwicklung, phänotypischer Innovation und der Kapazität zu evolvieren.
Bei Eidechsen entstehen Chromatophoren, die für die Farbgebung verantwortlich sind, aus Neuralleistenzellen. Wir vermuten, dass das Migrationsverhalten dieser Zellen eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Farbmusterungen spielt. Um diese Prozesse zu verstehen, kombinieren wir genomische und entwicklungsgenetische Ansätze, entwickeln theoretische Modelle zur Musterbildung und nutzen vergleichende Methoden, um die Zusammenhänge zwischen Entwicklung und Evolution von Farbmusterungen zu entschlüsseln.
Feiner, N., Yang, W., Bunikis, I., While, G.M. & Uller, T. 2024. Adaptive Introgression reveals the genetic basis of a sexually selected syndrome in wall lizards. Science Advances 10:14
Feiner, N., Brun-Usan, M., Andrade, P., Pranter, R., Park, S., Menke, D. B., Geneva, A. J. & Uller, T. 2022. A single locus regulates a female-limited color pattern polymorphism in a reptile. Science Advances 8:10
Eine populärwissenschaftliche Zusammenfassung der Evo-Devo der Farbmusterungen gibt es hier.
Repetitive Evolution
Bereits Naturforscher des 19. Jahrhunderts, die das Mittelmeer erkundeten, waren von den variablen Farbmusterungen der Mauereidechsen fasziniert, die scheinbar ohne geografische Ordnung auftraten. Auch heute versuchen wir, dieses „Chaos der Variation“ zu kartieren und zu verstehen. Mittlerweile wissen wir jedoch, dass ein Grund für diese Verwirrung darin liegt, dass sich bestimmte Phänotypen wiederholt und unabhängig voneinander entwickelt haben.
Ein markantes Beispiel ist das „nigriventris-Syndrom“: große, kräftige und aggressive Eidechsen mit leuchtend grünen Rücken, auffälligen blauen Flecken an den Flanken und schwarzen Bäuchen. Bei den Gemeinen Mauereidechsen (Podarcis muralis) haben wir die Ursprünge dieses Syndroms untersucht und seine introgressive Ausbreitung verfolgt.
Derzeit erweitern wir unsere Forschung in zwei zentrale Richtungen: Zum einen nutzen wir einen vergleichenden Ansatz, um die Parallelen in der Evolution dieses Syndroms bei verschiedenen Arten zu analysieren. Zum anderen verfolgen wir einen entwicklungsbiologischen Ansatz, um zu verstehen, warum Farbe, Morphologie und Verhalten in diesem Syndrom miteinander co-evolvieren.
Yang, W., While, G.M., Laakkonen, H., Sacchi, R., Zuffi, M.A.L., Scali, S., Salvi, D. & Uller, T. Genomic evidence for asymmetric introgression by sexual selection in the common wall lizard. Mol Ecol, 27: 4213-4224
While, G.M., Michaelides, S., Heathcote, R.J.P., MacGregor, H.E.A., Zajac, N., Beninde, J., Carazo, P., Pérez i de Lanuza, G., Sacchi, R., Zuffi, M.A.L., Horváthová, T., Fresnillo, B., Schulte, U., Veith, M., Hochkirch A. & Uller, T. Sexual selection drives asymmetric introgression in wall lizards. Ecol Lett 18:1366-1375
Hybridisierung – Vom Verhalten zur Evolution
Gelegentlich paaren sich Individuen aus verschiedenen, unabhängig evolvierten Linien und tauschen Gene aus. Aber kann eine solche Hybridisierung adaptive Veränderungen fördern, Innovationen hervorrufen und zur Diversifikation beitragen?
Unsere Forschung deutet darauf hin, dass die Antwort auf all diese Fragen „ja“ lauten könnte. Ein Beispiel ist die sexuelle Selektion bei Mauereidechsen, die eine adaptive Introgression eines neuartigen Phänotyps begünstigt. Wir konnten zeigen, dass die Introgression und klimatische Einflüsse auf die Intensität der sexuellen Selektion das scheinbar chaotische Mosaik aus Farb- und Formvariationen erklären.
Dies stellt sich jedoch nur als ein Teil des Ganzen heraus: Hybridisierung war während der gesamten evolutionären Geschichte der Mittelmeer-Mauereidechsen weit verbreitet. Jetzt untersuchen wir, wie uralte Hybridisierungen mit der Artbildung, phänotypischen Innovationen und den explosionsartigen Diversifizierungen der Färbung zusammenhängen, für die Mauereidechsen bekannt geworden sind.
Ruiz Miñano, M., While, G.M., Yang, W., Burridge, C.P., Sacchi, R., Zuffi, M., Scali, R., Salvi, D., Uller, T. 2021. Climate shapes the geographic distribution and introgressive spread of colour ornamentation in common wall lizards. The American Naturalist 198:379-393
Yang, W., Feiner, N., Laakkonen, H., Sacchi, R., Zuffi, M.A.L., Scali, S., While, G.M., Uller, T. 2020. Spatial variation in gene flow across a hybrid zone reveals causes of reproductive isolation and asymmetric introgression in wall lizards. Evolution 74:1289-1300
Yang, W., Feiner, N., Salvi, D., Laakkonen, H., Jablonski, D., Pinho, C., . . . Uller, T. Population genomics of wall lizards reflects the dynamic history of the Mediterranean Basin. Molecular Biology & Evolution 39:msab311