Halfen Mikroben das Leben an Land zu erschließen?
Vergleichende Mikrobiom-Studie ermöglicht Forschenden des Kieler und Plöner Sonderforschungsbereiches 1182 neue Erkenntnisse über den Verlauf der Evolution
- Pressemitteilung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel -
Alle Lebewesen existieren und funktionieren nur in Zusammenarbeit mit einer Fülle von symbiotischen Mikroorganismen und haben sich im Laufe der Erdgeschichte gemeinsam entwickelt. Diese zentrale Erkenntnis der modernen Lebenswissenschaften hat dazu geführt, dass Forschende weltweit die hochkomplexen Interaktionen und langfristigen Bindungen von Wirtsorganismen und Mikroben immer detaillierter analysieren. Stück für Stück wollen sie so zu einem neuen funktionalen Verständnis der Biologie und der Entwicklung des Lebens gelangen. Bei der Analyse der vielschichtigen Wechselwirkungen innerhalb des sogenannten Metaorganismus, der Einheit bestehend aus einem Körper und der Gesamtheit seiner mikrobiellen Besiedlung, kurz dem Mikrobiom, nutzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Beispiel Techniken zur sogenannten Genomsequenzierung. Diese Technologien erlauben es, Erbinformationen aus großen Mengen biologischen Probenmaterials zu analysieren und dank neuer Hochdurchsatz-Methoden schnell bestimmten Organismen und teilweise auch möglichen Funktionen zuzuordnen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aller am Sonderforschungsbereich (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ beteiligten Arbeitsgruppen an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön (MPI-EB) haben in einer umfangreichen Vergleichsstudie anhand verschiedener mehrzelliger Modellorganismen nun verschiedene Sequenzierungstechniken verglichen: einerseits um deren optimale Einsatzgebiete zu bewerten, andererseits um mögliche Gemeinsamkeiten unter den verschiedenen Lebewesen und ihrem Mikrobiom auszumachen. Ein überraschendes Ergebnis der jetzt vorgelegten Studie ist, dass an Land lebende Organismen allgemein ein deutlich anderes Mikrobiom aufweisen als im Wasser lebende Arten. Die Forschenden deuten dies als einen Hinweis darauf, dass Mikroorganismen eine Rolle beim evolutionären Übergang vom rein aquatischen Leben hin zum Leben an Land gespielt haben könnten. Die neuen Forschungsergebnisse erschienen vergangene Woche im renommierten Wissenschaftsjournal Microbiome.
Das Mikrobiom und die Anpassung an das Landleben
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des SFB 1182 nutzten in der neuen Studie die Möglichkeit, das Mikrobiom vieler verschiedener Modellorganismen - von einfach organisierten Schwämmen bis hin zu Wirbeltieren einschließlich des Menschen - gegenüberzustellen. Sie untersuchten Probenmaterial aus den verschiedenen Teilprojekten des Verbundforschungsprojekts auf übereinstimmende Muster in der Zusammensetzung der Mikrobengemeinschaften und verglichen dabei verschiedene Methoden der beiden wichtigsten Sequenzierungstechnologien. Zufällig trafen sie dabei auf eine interessante Beobachtung: Das Mikrobiom landlebender Organismen unterscheidet sich ungeachtet ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen deutlich von jenen aquatischer Lebewesen - darin stimmten alle Analysetechniken überein. Das Mikrobiom terrestrischer Organismen setzt sich aus einer geringeren Vielfalt an Mikroorganismen zusammen.
Eine mögliche Erklärung für die Unterschiede in der Zusammensetzung des Mikrobioms könnte sein, dass ehemals aquatische Lebewesen bei der Besiedlung des Landes gezwungen waren, neue Mikrobengemeinschaften zu erwerben. Der Übergang vom Wasser ans Land, der vor rund 500 Millionen Jahre begann, war also möglicherweise auch von einer Umstellung des Mikrobioms abhängig. „Ähnlich wie die Anpassung an das Landleben einen allmählichen, aber massiven morphologischen Wandel bewirkte, gingen solche Veränderungen offenbar auch im terrestrisch angepassten Mikrobiom des Wirtslebewesens vonstatten“, sagt John Baines, Professor für Evolutionäre Genomik mit Sitz in Kiel und Plön. „Um mit den neuen Umweltbedingungen zurechtzukommen, griffen Lebewesen möglicherweise auf bereits terrestrisch angepasste Mikroben zurück, um ihre Lebensfunktionen aufrechtzuerhalten“, so Baines weiter.
Das richtige Werkzeug wählen
Neben diesen aufschlussreichen Erkenntnissen über einen möglichen Einfluss der Mikrobiota auf den Verlauf der Evolution liefert die neue SFB 1182-Studie auch eine Hilfe bei der Wahl des passenden Analyseverfahrens zur Untersuchung einer bestimmten Mikrobengemeinschaft. Einerseits erlauben manche Sequenzierungsmethoden zum Teil nur die grobe Identifizierung der in einer Probe enthaltenen Mikroorganismen. Diese vergleichsweise kostengünstigen Verfahren - etwa die sogenannte ‚16s rRNA gene amplicon‘-Methode - nutzen bestimmte einzelne Markierungs-Gene, von denen sich auf die zugehörigen Lebewesen schließen lässt.
Aufwändigere Methoden wie die sogenannte ‚metagenomic shotgun‘-Sequenzierung erlauben es, die Gesamtheit der Erbinformationen in einer Probe zu erfassen und auszuwerten. Sie können zum Beispiel einzelne Bakterienarten innerhalb des Mikrobioms identifizieren und sind darüber hinaus in der Lage, auch auf bestimmte mikrobielle Funktionen zu schließen. Im Vergleich sind sie jedoch deutlich kostenintensiver, ihre Aussagekraft ist stärker vom spezifischen Einsatzgebiet abhängig und sie sind daher momentan noch weniger standardisiert als einfachere Verfahren.
Neue Erkenntnisse über den Ablauf der Evolution
Künftig wollen die Kieler und Plöner Forschenden gemeinsam mit ihren internationalen Kolleginnen und Kollegen genauer verstehen, welche konkrete Rolle Mikroorganismen beim Übergang von einer aquatischen zur terrestrischen Lebensweise im Laufe der Erdgeschichte gespielt haben. „Vieles deutet darauf hin, dass symbiotische Kleinstlebewesen auch die bedeutenden evolutionären Wandlungsprozesse mitbestimmt haben“, betont SFB 1182-Sprecher Professor Thomas Bosch. „Unser Ziel ist es daher, die konkreten evolutionären Ursachen der Diversifizierung des Mikrobioms parallel zur Besiedlung des Landes zu identifizieren“, so Bosch weiter.
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