Pilzinfektionen von Nutzpflanzen bedrohen die globale Ernährungssicherheit

Gemeinsame Pressemitteilung mit der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und der University of Exeter, UK
 

3. Mai 2023

In Nature warnen Eva Stukenbrock von der Uni Kiel und Sarah Gurr von der Uni Exeter vor den verheerenden Folgen durch Pilzkrankheiten. 

Trotz des weit verbreiteten Einsatzes von pilzabtötenden Pflanzenschutzmitteln (Fungiziden) gehen in der Landwirtschaft weltweit jedes Jahr zwischen 10 und 23 Prozent der Ernten durch Pilzbefall verloren. Weitere 10 bis 20 Prozent Verlust fallen nach der Ernte an. Die Situation wird sich zukünftig noch verschärfen. Das prognostizieren die Kieler Expertin für pflanzenschädigende Pilze, Professorin Eva Stukenbrock, und ihre englische Kollegin Professorin Sarah Gurr von der Universität Exeter, England, in einem Kommentar in der renommierten Fachzeitschrift Nature. Es sei zu erwarten, dass sich durch die globale Erwärmung Pilzinfektionen stetig in Richtung der Pole ausbreiten. Dadurch werde es in mehr Ländern zu einer höheren Prävalenz von Pilzinfektionen kommen, die die Ernten schädigen. In Irland und England beispielsweise wurden bereits Weizenstängelrost-Infektionen gemeldet, eine Pilzinfektion, die normalerweise in den Tropen auftritt. Eine Gefahr sehen die Expertinnen auch in neuen Erkrankungen für Mensch und Tier. Die Toleranz von Pilzen gegenüber höheren Temperaturen könnte die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass im Boden lebende Krankheitserreger auch Tiere oder Menschen infizieren. Mit ihrem Kommentar in Nature möchten die Wissenschaftlerinnen Politik und Öffentlichkeit auf die Probleme der Nutzpflanzen in Bezug auf Pilzkrankheiten aufmerksam machen, um eine große Bedrohung für die weltweite Ernährungssicherheit abzuwenden.

Pilze vernichten jährlich Nahrungspflanzen, mit denen bis zu 4 Milliarden Menschen ernährt werden könnten
„Angesichts des prognostizierten Anstiegs der Weltbevölkerung steht die Menschheit vor noch nie dagewesenen Herausforderungen für die Nahrungsmittelproduktion“, erklärt Co-Autorin Eva Stukenbrock, Professorin und Leiterin der Arbeitsgruppe „Environmental Genomics“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und Mitglied des Canadian Institute for Advanced Research (CIFAR). Bereits jetzt reichten die durch Pilzinfektionen verursachten Verluste bei den fünf wichtigsten Kulturpflanzen Reis, Weizen, Mais, Sojabohnen und Kartoffeln aus, um etwa 600 bis 4.000 Millionen Menschen ein Jahr lang täglich mit 2.000 Kalorien zu versorgen. „Dieser besorgniserregende Trend könnte sich noch verschärfen, da die globale Erwärmung dazu führt, dass Pilzinfektionen bei europäischen Nutzpflanzen immer häufiger auftreten und die Resistenz gegen Fungizide weiter zunimmt. Dies wird für Entwicklungsländer katastrophale Folgen haben und sich auch in der westlichen Welt stark auswirken", betont Stukenbrock vom Forschungsschwerpunkt Kiel Life Science (KLS) der CAU.

Moderne Landwirtschaft begünstigt die Ausbreitung von Pilzinfektionen
Einer der Gründe für die rasche Ausbreitung von Pilzinfektionen ist die Tatsache, dass Pilze unglaublich widerstandsfähig sind. Die Sporen einiger Arten können im Boden bis zu 40 Jahre lang lebensfähig bleiben, bei anderen Arten können die Sporen über die Luft zwischen den Kontinenten reisen. Darüber hinaus sind sie extrem anpassungsfähig, mit einer unglaublichen genetischen Vielfalt zwischen und innerhalb von Pilzarten. Aber auch die Art der landwirtschaftlichen Produktion hat Einfluss. Der Anbau von genetisch einheitlichen Pflanzen auf riesigen Flächen bietet ideale Nahrungs- und Brutstätten für Pilze, die sich trotz Einsatz von Fungiziden entwickeln. Der zunehmend verbreitete Einsatz von Fungiziden, die auf einen einzigen zellulären Prozess des Pilzes abzielen, hat zur Entstehung von Fungizidresistenzen geführt. Um die Pilzinfektion zu bekämpfen, werden immer höhere Mengen von Fungiziden in der Landwirtschaft eingesetzt, und das kann wiederum die Resistenzentwicklung beschleunigen.

Einheitliches Konzept zur Bekämpfung von Pilzinfektionen erforderlich
„Ein besserer Schutz der weltweiten Nutzpflanzen vor Pilzkrankheiten erfordert einen wesentlich einheitlicheren Ansatz als bisher - mit einer engeren Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft, Agrarindustrie, Pflanzenzüchtung, Wissenschaft, Regierungen und Politik“, fordern die Autorinnen. So müssten verschiedene technische Innovationen genutzt werden, um Pflanzenkrankheiten wirksamer zu überwachen, zu verwalten und zu bekämpfen. Zudem müssten nach Verbindungen gesucht werden, die die Pilzvermehrung nicht nur an einer einzigen Stelle angreifen, sondern auf mehrere Prozesse abzielen. Im Jahr 2020 entdeckte ein Team der Universität Exeter eine chemische Verbindung, die den Weg für eine neue Art von Fungizid ebnen könnte. Vielversprechend könne auch der Anbau von Saatgutmischungen sein, die gegen Pilzinfektionen resistent sind, wie eine Studie aus Dänemark gezeigt hat. Für die frühzeitige Erkennung und Kontrolle von Ausbrüchen könnten technische Innovationen etwa im Bereich der künstlichen Intelligenz oder durch Fernerkundungsinstrumente wie Drohnen zukünftig eine Rolle spielen.

"Pilzinfektionen bedrohen einige unserer wichtigsten Kulturpflanzen, von Kartoffeln über Getreide bis hin zu Bananen. Wir haben bereits massive Verluste zu verzeichnen, und angesichts des Bevölkerungswachstums droht dies zu einer globalen Katastrophe zu werden“, betont Co-Autorin Professorin Sarah Gurr, Inhaberin des Lehrstuhls für Lebensmittelsicherheit an der Universität Exeter, England. „Kürzlich haben wir erlebt, wie sich die Welt über die Bedrohung der menschlichen Gesundheit durch Covid geeinigt hat. Wir brauchen jetzt dringend ein weltweit einheitliches Konzept zur Bekämpfung von Pilzinfektionen und mehr Investitionen von Regierungen, gemeinnützigen Organisationen und Privatunternehmen, um zu verhindern, dass sich das Problem zu einer globalen Katastrophe ausweitet, in der Menschen verhungern."

Über Kiel Life Science (KLS)
Das interdisziplinäre Zentrum für angewandte Lebenswissenschaften – Kiel Life Science (KLS) – vernetzt an der CAU Forschungen aus den Agrar- und Ernährungswissenschaften, den Naturwissenschaften und der Medizin. Es bildet einen von vier Forschungsschwerpunkten an der Universität Kiel und will die zellulären und molekularen Prozesse besser verstehen, mit denen Lebewesen auf Umwelteinflüsse reagieren. Im Mittelpunkt der Forschung stehen Fragen, wie sich landwirtschaftliche Nutzpflanzen an spezielle Wachstumsbedingungen anpassen oder wie im Zusammenspiel von Genen, dem individuellen Lebensstil und Umweltfaktoren Krankheiten entstehen können. Gesundheit wird dabei immer ganzheitlich im Kontext der Evolution betrachtet. Unter dem Dach des Forschungsschwerpunkts sind derzeit rund 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 40 Instituten und sechs Fakultäten der CAU als Vollmitglieder versammelt.

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